
Am Nadelberg 4
Für das Seminar haben meine Studierenden den Instagram-Account @nadelbuch kreiert und mit ihren Buchkritiken gefüttert. Nadelberg verweist auf den Ort, an dem sich das Deutsche Seminar der Universität Basel befindet.
Es sind kurze, kompakte, knisternde Kritiken, die Lust aufs Lesen machen. Eine Auswahl:
Michelle Steinbeck: Favorita
Man vergleiche den roten Faden, der idealerweise durch eine gute Geschichte führt, mit einer kurvenreichen Küstenstrasse in Italien. Auf dieser Strasse rast Michelle Steinbecks Roman Favorita als Fiat Panda mit 180 km/h in eine steile Kurve. Er kommt dabei leicht ins Schlingern, droht auszubrechen und aus der Bahn zu geraten, behält sie aber. Die Autorin nimmt uns mit auf eine fesselnde Spritztour durch Italien. Ein Buch das unglaublich vielschichtig Familiengeschichte und Historie aufarbeitet und dabei einem ungewöhnlichen Krimi gleicht. Ben fatto. (af)
Zora del Buono: Seinetwegen
Zora del Buono macht sich in Seinetwegen auf die Suche nach dem Mann, der ihren Vater „totgefahren“ hat. Dabei erkundet sie Themen wie Vaterlosigkeit, Tod und Schuld. Die fragmentierte Erzählung, geschmückt mit Familienfotos und kurzen Intermezzi in Form der Kaffeehaus-Episoden, erzeugt eine intime und angenehme Leseerfahrung. Man hat das Gefühl, einer engen Freundin bei der Verarbeitung eines großen Traumas beizustehen – und lernt dabei, mit den eigenen vielleicht ein wenig reifer umzugehen.
Mariann Bühler: Verschiebung im Gestein
Mariann Bühlers Debüt gleicht einer Geologie Expedition. Man gräbt sich durch Satzgeröll, findet zusammengehörende Sätze an verschiedenen Orten, wie durch Verschiebungen im Textgestein voneinander getrennt. Das Buch handelt von drei Figuren, miteinander verknüpft nur durch ein Dorf in den Bergen, Ruth und der dringenden Frage: Wie weiter? Langsam, aber stetig türmen sich ihre Geschichten wie Berge auf. Es kommt zu Erdrutschen und Steinschlägen. Eine Empfehlung für alle Sprachexpeditor:innen. (sw)
Martin R. Dean: Tabak und Schokolade
Wir haben über eine Reihe von Debüts und über die fünf Bücher diskutiert, die für den Schweizer Buchpreis nominiert waren. In einer internen Abstimmung wurde von den Studierenden mit grosser Mehrheit das Buch "Tabak und Schokolade" vom Basler Autors Martin R. Dean als preiswürdiges Buch gekürt:
Martin Dean macht sich auf die Suche nach seiner Familiengeschichte. In kurzen persönlichen Kapiteln setzt sich der Autor mit seiner karibischen Herkunft, der Dynamik seiner Familie und dem Rassismus, mit welchem sich die Familie in der Schweiz konfrontiert sah, auseinander. Der Autor erzählt entlang von Bildern aus einem alten Fotoalbum. Diese machen die Lektüre sehr lebendig, doch nötig hat das Buch diese nicht. Durch Deans Sprache wird man zum blinden Passagier auf dem Töff des Grossvaters und trauert mit ihm auf der Beerdigung seiner Mutter. Ein reichhaltiges, welthaltiges, berührendes und wichtiges Buch, welches einem die historische Dimension des Rassismus kritisch vor Augen führt. (gg, ak)
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