Ein ungeschliffener Rohdiamant

In ihrem neuen Werk «Die Pachinko-Kugeln» erzählt Elisa Shua Dusapin die Geschichte einer jungen Schweizerin auf der Suche nach ihren ostasiatischen Wurzeln. Der Roman ist ein sprachlich funkelnder Rohdiamant, von dem man sich wünschen würde, ein Lektorat hätte ihn konzeptionell geschliffen.

Buchtipp: «Die Pachinko-Kugeln» von Elisa Shua Dusapin
Auf ein Winter in Sokcho folgt nun ein Sommer in Tokio - damit knüpft Dusapin formal an ihr erfolgreiches Debüt an.

Claire, 30, aus Genf, verbringt den Sommer in Tokio, bei ihren betagten Grosseltern. Diese stammen aus Korea und betreiben eine Pachinkho-Spielhalle, seit sie während dem Korea-Krieg 1953 nach Japan geflohen sind. Claire will mit den beiden eine Reise in die frühere Heimat unternehmen.

 

Doch während das alte Paar die Reise immer wieder aufschiebt, hütet Claire Mieko, das Mädchen einer japanischen Französisch-Dozentin, zu der sie schwesterliche Gefühle entwickelt. 

 

Daumen rauf

  • Sprachlich brillant. In einer minimalistischen Sprache werden wie mit Feder und Tusche Örtlichkeiten, Stimmungen und Charaktere in klarem Schwarz-Weiss gezeichnet. «Ich gehe am Panoramafenster entlang. Der Bahnhof von oben, die langgestreckte Haupthalle, die vier Fussgängerbrücken, ein lauerndes Reptil. Rundum ziehen sich Gebäude und Stromkabel wie Fluchtlinien bis zum Fuji, der sich vage in der Ferne im Smog abzeichnet.»
  • Stimmungsvoll. Ich tauche ein in die Urbanität von Tokio und gleichzeitig fühle ich die Verlorenheit Dusapins Figuren, die ohne Erklärung bleibt. «Meine Mutter zu lesen, erschöpft mich manchmal so sehr, dass ich meine Pläne über Bord werfe und mich rücklings ins Bett lege, mit ausgebreiteten Armen und Beinen wie ein Seestern.» 
  • Bildhaft. Dusapin gelingt es die  Wohnverhältnisse in Tokio einzufangen. Beispielsweise Mieko lebt in einem stillgelegten Hotel in der vierten Etage. Da ist ein winziges Bad, in dem man kaum stehen kann. Gegenüber davon ein Schlafzimmer ebenso eng mit Einbauschrank. «Die Intimität, die sie mir im Schein der nackten Glühbirne zu sehen gibt, macht mich verlegen. Ein Raum ohne Fenster.» Oder dann Claires koreanische Grosseltern: Sie wohnen sehr einfach, traditionell mit Futon und Tatami-Matten und dem Fenster gleich zur Strasse.

Daumen runter

  • Künstlich. Dusapins Spiel mit Schärfen und Unschärfen hat in ihrem Debüt gut funktioniert. In «Die Pachinko-Kugeln» wirkt das Verfahren jedoch konstruiert. Ich erfahre zu wenig über soziale Hintergründe. Beispielsweise über Claires Verlorenheitsgefühl, ihre Identitätssuche oder über die Traumata der Grosseltern, ihre Exilerfahrungen, als sie damals im Koreakrieg nach Japan flüchten mussten. Zu viel spielt sich in den Köpfen ab, in die ich nicht hineinsehen kann.
  • Schwammiges Ende. Ich mag es, wenn die letzten Sätze einer Geschichte kraftvoll sind und der Endpunkt wie ein Paukenschlag ist. Das ist hier nicht so. 
Das Pachinko-Spiel ist eine Art vertikaler Flipper: «Koreaner bekamen in Japan keinen Zugang zu Arbeitsmarkt. Sie dachten sich ein Spiel aus. Ein vertikales Spielbrett. Ein paar Kugeln. Ein Drehknopf.»
Das Pachinko-Spiel ist eine Art vertikaler Flipper: «Koreaner bekamen in Japan keinen Zugang zu Arbeitsmarkt. Sie dachten sich ein Spiel aus. Ein vertikales Spielbrett. Ein paar Kugeln. Ein Drehknopf.»

Die Autorin

Elisa Shua Dusapin, geboren 1992, wuchs als Tochter eines französischen Vaters und einer südkoreanischen Mutter in Paris, Seoul und Porrentruy auf. Sie hat am Schweizerischen Literaturinstitut Biel studiert. Für ihr Debüt «Ein Winter in Sokcho» erhielt sie u.a. den Robert-Walser-Preis, den Schweizerischen Literaturpreis und den National Book Award for Translated Literature 2021.

 

Das Buch: Elisa Shua Dusapin: «Die Pachinko-Kugeln» (Blümenbar, 2022)

 

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