Liebe Brigitte, bitte schreiben Sie das nächste Mal über mich!

Brigitte Helbling erzählt in «Meine Schwiegermutter, der Mondmann und ich» wie ihre Vorfahren und sie selbst in Zürich die grosse Liebe finden. Raffiniert und sprachlich gewandt verwebt die Autorin historische Quellen mit eigenen Erinnerungen und Gedanken. Eine liebevolle Familiensaga, die so einiges über das Frausein in Zürich verrät. 

Buchtipp: «Meine Schwiegermutter, der Mondmann und ich» von Brigitte Helbling
«Meine Schwiegermutter, der Mondmann und ich» ist auch ein Züri-Roman.

Zürich, 2013. Die Ich-Erzählerin findet im Schreibsekretär ihrer verstorbenen Schwiegermutter ein schwarzes Notizbuch. «Wie ein Osterei lag es da, wie eine posthume Überraschung für die Nachkommen.» Darin will die Verfasserin Klarheit finden in einer Liebesangelegenheiten, die sie vor ein grosses Dilemma stellt. Welchem der beiden Verehrer soll sie den Vorzug geben? Was sich liest wie eine Jane-Austen-Geschichte führt nicht nur zu unerwarteten Einsichten über die Schwiegermutter, sondern bietet Stoff für einen Roman mit vielen überraschenden Wendungen.  

Daumen rauf

  • Universell. 3 x Liebe. 

Zürich, 1953. «Seit einigen Wochen stecke ich in einem ganz verzwickten Dilemma und will nun versuchen, durch die Niederschrift dieser Geschichte einige Klarheit über mich selbst zu erhalten.» Das schreibt die Schwiegermutter der Ich-Erzählerin an ihrem 22. Geburtstag in ihr schwarzes Notizbuch, beschwipst von der Liebe zu zwei Männern.

 

Zürich, 1786. «Ja, dieses holde bescheidene Mädchen soll die Gefährtin meines Herzens seyn.» Das schreibt Hans Conrad Escher in seinem Tagebuch, kurz bevor er ebenfalls an seinem 22. Geburtstag Regula von Orelli heiratet. Doch kurz davor denkt er noch an Flucht.

 

Zürich, 1982. «Als der Mondmann und ich 22 Jahre alt waren, hatten wir bereits eine Tochter. Wir lebten in einer kleinen Wohnung in unmittelbarer Nähe meiner Schwiegermutter. Heiraten war nicht mehr angesagt, wir aber hatten geheiratet, denn damit liessen sich die Eltern beruhigen und die Behörden auf Abstand halten, die unverheiratete Mütter und Väter im Auge behielten.» Und das schreibt die Ich-Erzählerin über ihr Liebesleben mit 22 Jahren. 

  • Unkonventionell. «Meine Schwiegermutter, der Mondmann und ich» ist ein glitzerndes Konglomerat aus Fakten, Fiktion, Gattungen und Genres. Die Autorin erzählt ihre Version einer möglichen Geschichte. Sie entwickelt diese entlang von Zitaten aus Tagebucheinträgen und Lebensberichten, die sie liebevoll, fragend und kritisch kommentiert und so in einen grösseren Kontext stellt.
  • Unerschrocken. Die Autorin spannt einen weiten Bogen. Von der Geschichte ihres Urururur-Grossvaters Hans Conrad Escher im 19. Jahrhundert bis zu ihrer eigenen Geschichte in der Gegenwart. Ich erfahre viel über das Gesellschaftsgefüge von damals bis heute. Gut gefällt mir auch wie die Autorin Genderfragen aufgreift, Iris von Roten zitiert und eigene Schlüsse zieht. Beispielsweise wenn sie über die Wut der Frauen und die Angst der Männer schreibt: «Die Angst äussert sich im Wegschauen. Im Weghören. Im Kleinreden und beiläufig vom Tisch Wischen. In einer bestimmten Art, sich zurückzuziehen oder sich auch ganz zu verziehen, in den Nebenraum, mit dem Hund in die Natur, in die zahlreichen Männerbünde, die Zürich bereithält. Ein Mann ohne Frau, das war nicht denkbar, ein Mann mit Frau wusste oft weder ein noch aus.  Das ist keine Stadt für Frauen, dachte ich. Das ist kein Ort, um Töchter grosszuziehen. Also bin ich gegangen.»
  • Ungewöhnlich. Der umsichtige, warme Ton, in dem die Autorin über ihre Vorfahren schreibt. Da ist viel Anteilnahme,  viel Nähe bei respektvoller  Distanz. Wer eine solche Liebeserklärung von der Schwiegertochter erhält, darf sich glücklich schätzen.

 

Zürich als Schauplatz ist das Bindeglied, dass das literarische Konglomerat zusammenhält.
Zürich als Schauplatz ist das Bindeglied, dass das literarische Konglomerat zusammenhält.

Daumen runter

Nichts für ungut! In Liebesdingen wirkt die Sprache manchmal etwas unbeholfen.

Die Autorin

Brigitte Helbling wurde 1960 geboren. Sie ist Kulturjournalistin und schreibt Theatertexte. Die Stücke entstehen meist in engem Austausch mit ihrem Mann, dem Regisseur Nicklaus Helbling und dem freien Theaterkombinat Mass & Fieber/Mass & Fieber OST. 2021 kuratierte sie mit letztgenannten die Ausstellung «Frauen im Laufgitter» im Literaturmuseum Strauhof. 

 

Das Buch:  Brigitte Helbling: «Meine Schwiegermutter, der Mondmann und ich» (rüffer & rub, 2022) 

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Kommentare: 1
  • #1

    Lorah (Freitag, 30 September 2022 10:43)

    Schöner Beitrag;)
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