«The Circle» – Mit diesem Weltbestseller sorgte der US-Amerikaner Dave Eggers vor ein paar Jahren für Furore. Eine Dystopie, die davon erzählte, wie ein Tech-Unternehmen durch weltweite Datenerhebung zunehmend soziale Kontrolle ausübt. Mit «Every» setzt nun Dave Eggers sein gesellschaftskritisches Szenario fort. Und er setzt nicht nur fort, er setzt auch einen drauf.
Die Handlung spielt in Kalifornien in einer nahen Zukunft, in den 2030er Jahren. Unterdessen ist aus dem Unternehmen «The Circle» neu «Every» geworden. Das Unternehmen hat fusioniert und weisst nun grosse Ähnlichkeit mit Google, Facebook, Apple, Microsoft und Amazon auf.
Das verdeutlicht Dave Eggers in dem er Ideen-Entwicklungen beschreibt, die die Handschrift dieser Konzerne tragen. «Every» entwickelt Apps, die alles vermessen, die den Menschen Sicherheit bieten und ihnen helfen, sich selbst zu optimieren. Ihnen sagen, wann sie Sport machen, wie viel sie lachen und schlafen, was sie essen, was sie kaufen sollen. Und natürlich tragen darum alle «Everyones», die Mitarbeiter von «Every», eine Apple-Watch ähnliche «Oval» am Handgelenk.
Und es gibt weitere Parallelen. Die neuste Firmenübernahme von «Every» ist «dschungel». Damit hat sich das Unternehmen ein Online-Vertriebsnetz à la Amazon gesichert.
Eggers Roman ist eine Anklageschrift gegen die Machtkonzentration der US-amerikanischen Tech-Riesen. Das liest sich fesselnd, anregend, irritierend. Man könnte «Every» auch als digitalen Arbeiterroman bezeichnen. Im Kern geht es um eine junge Frau und Aktivistin, die sich in das Unternehmen «Every» einschleust, um es von innen heraus zu zerstören und so die Menschheit vor dem Totalverlust der Privatsphäre zu retten. Delaney heisst sie, ihren unermüdlichen Kampf zu beobachten und dabei zu sehen, wie sie selbst einen überraschenden inneren Wandel durchläuft, hat Unterhaltungswert und bietet viel Diskussionsstoff. An den neuen Technologien führt natürlich kein Weg vorbei.
Gleichzeitig ist das Buch eine Aufforderung sich gründlich mit den digitalen Errungenschaften auseinanderzusetzen. Denn «Every» will nicht nur Macht konzentrieren, die Firma lanciert auch ökologisch-nachhaltige Produkte, um damit den Klimawandel aufzuhalten. Leistet also auch Positives. Doch Delaneys-Geschichte zeigt Risiken auf:
Ethischen Verfall: Jede noch so problematische App fällt auf fruchtbaren Boden: Niemand stösst sich daran, mit einer Lügendetektor-App zu überprüfen, ob die Freunde wirklich Freunde sind. Oder abgehört zu werden, um häuslicher Gewalt vorzubeugen. Die Romanfiguren – ausser Delaney – sind damit einverstanden, dass eine Gesichtserkennungsapp sie überwacht und öffentlich blossstellt.
Dave Eggers düstere Zukunftsvision zeigt auf, wie sich der Mensch freiwillig von Künstlicher Intelligenz führen und lenken lässt und auf jegliche Privatsphäre verzichtet, mitunter auch, um den Planeten zu retten. Wer nicht mitmachen will, der wird denunziert und öffentlich mundtot gemacht. Der Autor selbst nimmt dazu eine subversive Haltung ein. Dave Eggers wirft in diesem Roman die These auf, dass Regierungen unfähig sind den Klimawandel aufzuhalten und nur ein Monopol die Welt retten kann. Ein autokratisches Unternehmen wie das von «Every». Das datenbasiert, die richtigen Entscheide fällt. Doch natürlich stellt sich da die Frage: gibt es wirklich keinen anderen, nicht technokratischen Weg?
Darauf gibt Eggers keine Antwort. Er lässt mich aber erkennen, wie sehr die neuen Technologien von Tech-Riesen unser Leben durchdringen. Wie stark wir von Google, Facebook und Co. in unseren Handlungen und Entscheidungen beeinflusst werden. Algorithmen bestimmen beispielsweise, welche Online-Formate entwickelt werden. Nur was hohe Nutzungszahlen erreicht und grosse Reichweite erlangt, wird als richtig angesehen. Diesem Denken begegne ich zurzeit überall.
Dave Eggers Geschichte ist erschreckend, weil sie eine Entwicklung literarisch dokumentiert. Und zwar wie der homo sapiens, der vernünftige Mensch, zum homo numerus mutiert.
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