Friedenspreisträgerin Dangarembga: Für einmal bin ich sprachlos!

So einer missgünstigen, gefühlskalten und eigennützigen Antiheldin wie Tambuzai in Tsitsi Dangarembgas «Überleben» bin ich noch nie begegnet. Doch was hat sie zu der gemacht, die sie ist? Die Friedenspreisträgerin und Autorin aus Simbabwe bietet schlagende Antworten.

Annette König stellt den mittleren Teil der Trilogie nach. Sie liegt zwischen den Romanen "Überleben" und "Aufbrechen" von Tsitsi Dangarembga.
Wer in Simbabwe Frau, schwarz und arm ist, ist nichts wert. Gegen diese Misere schreibt Tsitsi Dangarembga an und ist damit vielen Frauen in ihrer Heimat und auch mir ein Vorbild.

Tambuzai, um die 45, ist Single, lebt in Harare, der Hauptstadt Simbabwes und ist völlig abgebrannt. Als Werbetexterin schreibt sie zwar super Slogans, doch stehen unter diesen immer nur die Namen ihrer weissen Kollegen. An einen Karrieresprung ist nicht zu denken. Aus Frust kündigt sie. Als sie dann aber keinen Job mehr findet, kämpft sie ums nackte «Überleben».

 

Doch wie das Schicksal so spielt trifft Tambuzai unverhofft auf ihre frühere Arbeitskollegin Tracey Stevenson. Tracey hat sich in der Tourismusbranche selbständig gemacht. Und Tambuzai passt perfekt als Tourbetreuerin der Green Jacaranda-Safaris in ihr Team.

 Bild aus «Der Atlas der Abenteuer», Kleine Gestalten 2015
Tambuzai liebt den Nordwesten Simbabwes und erlebt auf dem Land der Stevensons Glücksmomente: «Im braunen und tiefgoldenen Schwung des Halses einer Giraffe vor dem unfassbar blauen Himmel liegt ebenso unermesslicher Frieden wie in

Daumen rauf

  • Blutrot. «Überleben» ist ein intensives Buch. Der Roman ist in der Du-Form geschrieben und liest sich wie ein Zwiegespräch, das Tambuzai mit sich selbst führt. Das hat zur Folge, dass ich jeden einzelnen ihrer desillusionierten Gedanken ungefiltert und in voller Drastik mitbekomme. Beispielsweise erinnert sie sich wie sie nach einem Stein greift, um ihn nach einer jungen Frau zu werfen, auf die es ein wütender Mob abgesehen hat. Weil diese in sexy Kleidung, selbstbewusst und mit vollen Shoppingtaschen daher stolziert kommt.
  • Hochinteressant. Tambuzais Geschichte ist in einem postkolonialen Kontext zu verstehen. Wegen ihrer Ausbildung nach westlichem Vorbild entfremdet sich Tambuzai von ihrer Familie, aber auch von ihren kulturellen Wurzeln. Erst an der höheren Töchterschule unter Weissen, wird Tambuzai zur Schwarzen. Sie realisiert, dass ihre Herkunft und Hautfarbe keine Türöffner sind. Minderwertigkeitskomplexe, Neid, Zorn und Selbsthass beginnen Tambuzai innerlich aufzufressen. Sie giert nach Geld, Status und Ansehen und ist bereit, dafür ihre Seele zu verkaufen.
  • Grenzüberschreitend. «Überleben» von Tsitsi Dangarembga ist in mehreren Belangen eine Grenzerfahrung. Und jetzt, wo ich weiss, warum ihre Protagonistin ist wie sie ist, verschlägt es mir gleich nochmals die Sprache!

Daumen runter

Bin immer noch sprachlos...

 

Eine Lektüre, die so nahrhaft ist wie Sadza: Ich schätze die Gastfreundschaft von Tambuzais Familie. Nach dem traditionellen Getreidebrei gibt's zum Dessert gezuckerten Milchtee mit Süsskartoffeln. Nyam!
Eine Lektüre, die so nahrhaft ist wie Sadza: Ich schätze die Gastfreundschaft von Tambuzais Familie. Nach dem traditionellen Getreidebrei gibt's zum Dessert gezuckerten Milchtee mit Süsskartoffeln. Nyam!

Die Autorin

Tsitsi Dangarembga ist als Autorin, Filmemacherin und Dramatikerin eine der wichtigsten Künstlerinnen in Simbabwe. Sie setzt sich intensiv für die Förderung filmschaffender Frauen auf dem afrikanischen Kontinent ein und engagiert sich seit vielen Jahren als Aktivistin für feministische Anliegen und politische Veränderung. 1988 erschien ihr Debüt-Roman «Nervous Conditions» (dt. «Aufbrechen») als erster Teil einer autobiografisch geprägten Trilogie. Er wurde 2018 von der BBC in die Liste der 100 wichtigsten Bücher aufgenommen, die die Welt geprägt haben. 2021 erhielt Tsitsi Dangarembga u.a. den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

 

Das Buch: Tsitsi Dangarembga «Überleben» (Orlanda, 2021) in der deutschen Übersetzung von Anette Grube.

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