Am schönsten ist Neapel im Winter!

Franco Supinos neuer Roman «Spurlos in Neapel» erinnert an einen Sorrentino-Film. In frischen, klaren, warmen Farben wird hier das Bild einer gefährlich-schönen Stadt gezeichnet. Chaos, Leidenschaft und die Camorra haben sich in ihre DNA eingeschrieben. 

Buchtipp von Annette König - die Literaturkritikerin: «Spurlos in Neapel» von Franco Supino
Ermittlungsgeschichte und literarischer Stadttrip

Jahre nach dem Tod des Vaters begibt sich der Erzähler aus der Schweiz auf Spurensuche nach Neapel. Er will endlich die Stadt kennenlernen, deren Sprache er spricht. Bei seinen Erkundungstouren stösst er auf die faszinierende Geschichte eines schwarzen Camorrista:

 

Ein Migrantenkind aus Westafrika wird von einem Familienclan aufgenommen. Es steigt unter dem Namen Antonio Esposito die Karriereleiter hinauf und gründet eine Jugendbande, die Paranza. Sein spurloses Verschwinden lässt den Erzähler nicht mehr los. Ist Antonio tot oder untergetaucht? 

 

Stammbaum der Familie Esposito aus Franco Supinos Roman «Spurlos in Neapel»
Der Esposito-Clan: Die Camorra ist die älteste und grösste kriminelle Organisation in Italien. Sie besteht aus autonomen Familienclans.

Daumen rauf

  • Viel Atmosphäre. Franco Supino schreibt so stimmungsvoll, dass auch ich in Neapel bin. Ich fahre mit der Metrolinie 2 bis Gianturco und spaziere gemütlich ins Luzzatti-Viertel. Da ist nicht nur Antonio Esposito aufgewachsen, sondern auch die beiden Freundinnen aus Elena Ferrantes berühmter Neapel-Saga.
  • Viel Aussicht. Wer den Golf von Neapel sehen will, der fährt nach Possilipo. Von da hat man nicht nur einen eindrucksvollen Blick, sondern begegnet auch gleich den Veteranen aus Antonios Paranza, die sich als Laiendarsteller auf dem Filmset von «Der Clan der Kinder» von Roberto Saviano tummeln.
  • Viel Action. Eine der besten Szenen im Buch ist die Begegnung mit Maurizio, einem wirklich schlimmen Jungen. Acht Jahre war er wegen vorsätzlicher Tötung im Knast. Jetzt arbeitet er als Möbelpacker. Doch das ist Tarnung. Das eigentliche Geschäft macht er mit Drogen. Darum auch seine acht Telefoninos auf dem Bistrotisch, die ununterbrochen vibrieren und läuten.

Daumen runter

  • Viel Personal. Da sind Erzähler, Donato, Mateo, Sergio, Maurizio, Antonio Esposito, Bernarda Maria Esposito, Salvatore Espositio, Rosetta Esposito, Michele Esposito, Anna Solimbeni, Massimo Esposito, Zia Nicoletta, Ciro Esposito, Mario Moca, Vincenzo Solimbeni, Marilina Miranda. Das übersteigt meine Merkfähigkeit!
  • Viele Einschübe. «Spurlos in Neapel» ist ein chronologisch erzähltes Buch. Doch Franco Supino möchte auch die Vergangenheit ausleuchten und unterbricht den Erzählfluss mit Rückblenden, die beispielsweise Antonio als Junge zeigen. Darunter leidet der Spannungsbogen. 

Der Autor

Franco Supino, 1965 geboren in Solothurn, wuchs als Kind italienischer Eltern zweisprachig auf. Er studierte in Zürich und Florenz Germanistik und Romanistik. Supino ist Dozent an der Pädagogischen Hochschule Nordwestschweiz und freier Autor. Er lebt mit seiner Familie in Solothurn.

 

Das Buch: Franco Supino: Spurlos in Neapel. Rotpunkt, 2022.

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